Weisse Nacht

GELESEN VON CHRISTIAN KRACHT. Thomas führt ein völlig normales Leben, bis er den Menschen findet, der seine Welt ins Schwanken bringt. Von ihm fühlt er sich das erste Mal wirklich erkannt und angenommen, er ist angekommen. Mit ihm zusammen scheint nichts unmöglich. Plötzlich steht ihm die Welt offen. Bis ein Abend wieder alles unerwartet verändert. Aus dem Nichts heraus.
Wenn David Schalko ein solches Buch schreibt, ein Buch über zwei politische Lebensmenschen, dann ist klar, dass man bereit sein muss für Überraschungen und dass nicht nur die Wendungen in der Handlung unerwartet sein werden. David Schalko, geboren 1973, lebt als Autor und Regisseur in Wien. Bekannt wurde er durch zahlreiche politische Satireformate, unter anderem der mehrfach ausgezeichneten „Sendung ohne Namen". Die 2008 entstandene Mockumentary „Das Wunder von Wien: Wir sind Europameister" erregte internationales Aufsehen und erhielt 2009 die Goldene Romy. Zusammen mit Josef Hader drehte David Schalko den Zweiteiler „Aufschneider".
Hinter Glas
Autor(en):*Alexander Cammann*
HÖRBUCH
Christian Kracht liest David Schalko, und es klingt, als sähe er uns dabei an Vor ein paar Jahren gab es einen Moment, in dem man den Autor Christian Kracht als visuelle Live-Installation betrachten konnte. Es passierte auf dem riesigen Platz zwischen den Frankfurter Messehallen, einem dieser deutschen Unorte, an dem man schutzlos Wind und Hässlichkeit ausgeliefert ist und von denen man schnell wieder flieht, nachdem man vom Mahlstrom der Buchmesse auf ihn ausgespien wurde. Dort war ein transportables Radiostudio aufgebaut: ein seltsamer Kasten mit Glasfront, davor für Zuschauer ein paar Stuhlreihen mit drei versprengten, jutebeutelbewehrten Buchmessegestalten, im Kasten selbst, durch das Glas zu beobachten, der Moderator und Christian Kracht, die unter bedrohlichen Mikrofonen über dessen neues Buch sprachen. Man konnte Kracht über Kopfhörer lauschen, doch weitaus interessanter war es, ihn in diesem Aquarium einfach nur ohne Ton zu betrachten: ein weiß gewandeter Fisch hinter Glas, Mund und Miene unendlich langsam bewegend, ab und an ein flüchtiges Lächeln zeigend. Stundenlang hätte man da zuschauen mögen, eine Meditationsübung, bei der man unweigerlich ins Sinnieren kam: Erscheinen wir paar Jutebeutelträger in diesem Augenblick Kracht von der anderen Seite der Glaswand aus nicht ebenfalls als stumme Fische im Aquarium - oder vielmehr dem Forscher Kracht mit zoologischem Blick als Insekten in einem Terrarium? Ist für ihn diese ganze Situation nicht weitaus skurriler noch als für uns? Und was würde passieren, wenn wir plötzlich Faxen machten - aber halt: Wer ist hier eigentlich tatsächlich Affe und wer Zoobesucher?
Der 43-jährige Kracht ist jetzt erneut im Studio gewesen und hat diesmal ein Hörbuch eingelesen - und wieder scheint er hinter Glas zu sitzen, das als Spiegel funktioniert. Wir haben seine Stimme im Ohr, und wir haben den komisch gespenstischen Eindruck, als könne er uns beim Hören zusehen - vielleicht glauben wir das deshalb, weil das, was er vorliest, womöglich mehr mit unserem Inneren zu tun haben könnte, als wir wollen? Kracht liest den im vergangenen Jahr erschienenen Roman Weiße Nacht des 1973 geborenen österreichischen Regisseurs und Autors David Schalko, eine Politsatire auf das homoerotische Umfeld des 2008 verunglückten Kärntner Landeshauptmanns Jörg Haider. Anfang des Jahres verklagte Stefan Petzner, Generalsekretär des Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) und Haider-Freund, Schalko vergeblich wegen offensichtlicher Ähnlichkeiten zwischen ihm und der Hauptfigur, dem Erzähler Thomas, der einem politischen Führer verfällt - nicht wegen irgendwelcher Ideen, sondern aufgrund seiner Aura.
Es ist das Protokoll einer Verführung: In Krachts somnambuler Stimme, die androgyn irgendwo zwischen Ingeborg Bachmann und Christa Wolf liegt, kriecht dieses »Fantasymärchen«, dieser »Karl-May-Roman« (Schalko) in uns hinein; eine psychedelische, gleichförmige Séance, in der es um Parfüm und Körperkult geht, ein zugekokstes Dauerdelirium. Natürlich ist das eine urkomische Satire auf die sexualisierte Körperlichkeit des political animal, auf das Arkanum des Politischen: Der Führer schnürt nachmittags ein »Krisenpaket«, nachdem er am Vormittag am Telefon von »unglaublichen Machenschaften« erfahren hat, die zu einer Weltwirtschaftskrise führen würden - um dann verzweifelt festzustellen, dass das Krisenpaket nichts wert ist, da die Anzahl seiner Buchstaben nicht durch drei teilbar ist. Kunstvoll wird so andauernd Aberwitziges und Triviales aneinandergereiht, eigentlich dürfte der Hörer aus dem Kichern nicht herauskommen - wenn Krachts Stimme nicht stets die Frage mitschwingen lassen würde: Und wie verführbar bist du?
Alexander Cammann (Die Zeit / 8. Juli 2010 / Nr. 28 / Seite 46)
'... eine entlarvende Travestie der Massenhysterie ...' (Die Zeit)
'... ein so noch nie dagewesenes literarisches Erlebnis.' (Falter)